Das Leben besteht aus zwei Komponenten, die leider nicht zu selten ambivalent sind – die Planung und die Realität.
Meine Planung der letzten Wochen sah in etwa so aus: Das Umzugsunternehmen schafft meinen Krempel von Kassel nach Hannover. Mein Papa renoviert meine Wohnung, was im Grunde Streichen und Laminatverlegen bedeutet sowie Küche und Möbel aufbauen. Danach bleibt er noch eins, zwei Tage zum Entspannen und für Kleinkram, der mir erst beim Einrichten auffällt und dann fährt er wieder nach Hause. Das Ganze sollte nach etwa einer bis eineinhalb Wochen abgeschlossen sein. Spätestens dann sollte sich bei meinem Herrn und mir eine gewisse Normalität einstellen, beginnend mit der Rückkehr zu einem ordentlichen Dom-Sub-Verhältnis; das hatte nämlich in den letzten Monaten unter meiner Thesis, meiner Umzugsplanung und einigen anderen Unwegsamkeiten gelitten.
Wäre das alles so gelaufen, hätte ich euch jetzt wahrscheinlich von meiner ersten Session als Hannoveranerin und ohne leichten Zeitdruck im Hinterkopf (ich musste früher ja immer irgendwann wieder zurück nach Kassel) erzählen können, davon wie schön es ist endlich dauerhaft in der Nähe meines Herrn zu sein und überhaupt darüber wie toll alles ist.
Es ist nicht so gelaufen, wie geplant. Deswegen erzähle ich euch jetzt eben davon, dass eine BDSM-Beziehung nicht immer bedeuten muss, dass der Herr die Peitsche schwingend hinter der Sub steht, währenddessen sie alles alleine macht und auch nicht, dass es immer alles tot ernst sein muss. Zumindest wir schreiben den Beziehungsteil von “BDSM-Beziehung” genauso groß wie das davorstehende Akronym.
Die Realität sah also so aus: Das Umzugsunternehmen stand am 30.08. pünktlich um 6 Uhr morgens in Kassel bei mir vor der Haustür und hat meinen ganzen Krempel verladen. Bis auf die Wespen, die aus irgendeinem Grund in meinem Flur übernachtet haben und mich beinahe zu Tode geängstigt haben, lief hier alles glatt und wir fuhren um 8 Uhr los in Richtung Hannover. Dort angekommen wartete meine Vermieterin bereits auf uns, um die Tür aufzuschließen. Der Vormieter hatte keine Zeit, aber eben noch seine Sachen in der Wohnung, weswegen jemand zum Aufpassen zugegen sein sollte – kann ich verstehen, machte die Angelegenheit jedoch nicht einfacher. Was wir in der Wohnung vorfanden, macht den ganzen Umzug plötzlich nicht einfacher. Für gewöhnlich wird eine Wohnung ja besenrein übergeben. Diese Wohnung war knapp 24 Stunden vor der Übergabe in einem Zustand der so wenig mit besenrein zutun hatte, wie eine Mücke mit einem liebenswerten Haustier. Mir dämmerte, dass die Übergabe am nächsten Tag sehr unangenehm werden würde und ich behielt Recht. Stellt euch einfach eine Wohnungsübergabe bei Berlin Tag und Nach vor, wenn die Wohnung ein Saustall (mit Schimmel im Bad, einem Fettfilm über der gesamten Küche und überall Staub und Dreck in den Ecken, an den Fenstern und ach, überall halt) ist. Mein Herr und ich haben versucht ein wenig deeskalierend zu wirken, was einigermaßen ineffektiv blieb. Naja, am Ende dieser sehr lauten Stunde hatte ich die Schlüssel, einen Haufen Arbeit und eine Vermieterin mit schlechtem Gewissen, die mir direkt eine Miete erlassen hat und die Sanierungskosten ohne Diskussion übernehmen wird.
Die folgenden Tage verliefen demnach mit sehr wenig BDSM und streckenweise wie mein Herr immer wieder sagte “nicht gerade dominant” für ihn. Mein Papa renovierte also nicht nur, sondern sanierte Küche und Bad. Mein Herr half ihm und ich ging arbeiten. Abends, wenn mein Herr und ich rüber in seine Wohnung gingen (mein Bett steht schlichtweg noch nicht), waren die einzigen Dinge, die uns selbst daran erinnerten, dass wir eine D/s-Beziehung führen, die Anrede – ich benutze für ihn den Pluralis Majestatis, weil ich beim “normalen” Siezen das Gefühl habe mit meinem Chef zu sprechen – und dass ich im Flur kniend still um Einlass bitte. Für mehr, war einfach keine Kraft. Ansonsten war es leider viel häufiger mein Herr der kniete; zumeist auf irgendwelchen Fliesen, um diese von Fett und Dreck zu befreien. Überhaupt half er in den vergangen zwei Wochen sehr, sehr viel beim ganzen Projekt Umzug, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Tatsächlich ist dies aus meiner eigentlichen Rolle als seine Sub heraus gar nicht so einfach, denn es kam nicht selten vor, dass ich plötzlich diejenige war, die Anweisungen geben musste, die ihn auf irgendwelche Dinge hinwies, die ich mir anders vorgestellt hatte und die Entscheidungen treffen musste. Gleichzeitig war auch noch mein Papa häufig in Hörweite, den ich zwar irgendwann darüber informierte, dass ich mich in BDSM-Kreisen bewege, für den es aber kein aktives Wissen ist, dass mein Freund und ich ein dauerhaftes Machtgefälle in unserer Beziehung etabliert haben. Die kleineren Spielerein zwischendurch und die respektvolle Anrede waren also absolut fehl am Platze. Und wenn ich ehrlich bin, fehlt mir das. Ich hatte mich vor dem Umzug sehr darauf gefreut, nun endlich nicht mehr immer nur ein paar Tage bei meinem Herrn zu sein, sondern dauerhaft und nun ist es so weit und ich bin als Sub völlig unterfordert und zeitgleich zu gestresst und erschöpft, um etwas anderes zu tun, als zu Schlafen, wenn wir in meiner Wohnung Feierabend machen. Die Folge ist, dass ich meinen Herrn eine Spur zu häufig foppe. Wir haben viele witzige Momente und lachen nicht zu selten gemeinsam über die Ironie des Lebens. Einmal kam ich nach der Arbeit nach Hause und mein Herr schrubbte gerade Fliese für Fliese in der Küche. Ich begrüßte ihn mit “Mein Herr, es ist doch nicht nötig, dass Ihr auf Knien vor mir rutscht.” – er zeigt mir den Mittelfinger und wir grinsten uns beide an. Es mag sein, dass andere Doms ihrer Sub sowas nicht durchgehen lassen würden, mein Herr hat damit jedoch nicht nur kein Problem, sondern findet es explizit gut, wenn seine Sub schlagfertig ist, was wiederum ich gut finde, denn das könnte ich gar nicht komplett abstellen. In den letzten Tage habe ich jedoch das Gefühl, dass es ein wenig Überhand nimmt und dass mein Herr mir die Sprüche in der Menge normalerweise nicht durchgehen lassen würde und ich möchte nicht, dass es sich einschleicht. Mein Herr bleibt für mich immer mein Herr und diese Grenze soll nicht verwischen, denn sie ist für mich ein wichtiger Bestandteil für meine Gefühle im gegenüber.
Das mag jetzt alles ein wenig deprimierend klingen, aber die Wahrheit ist natürlich, dass es alles positiver Stress und zufriedenstellende Erschöpfung ist. Mit jedem Bisschen, das in der neuen Wohnung erledigt ist, lasse ich viele negative Dinge der vergangen Jahre, die eng mit Kassel verknüpft sind, hinter mir und komme dem Ankommen in Hannover immer näher. Sobald ich angekommen bin und auch mein Herr wieder mehr Raum und Zeit hat, wird sich auch unsere Beziehung wieder dahingehend einpendeln, wo wir beide sein wollen.
Mein Wortekönig auf seinem Thron und ich zu seinen Füßen.
Fehler gefunden: Miete muß es heißen statt Mieter. Ein interessanter Blog und gut geschrieben. Gefällt mir. Haben ihn vom Anfang bis zum Ende gelesen. Sowas kommt selten vor. Auch wenn meine Geschichte von Grund auf anders ist gibt es doch Parallelen. Freue mich schon auf die Fortsetzung.
Hallo Christian,
ich freue mich sehr, dass dir meine Geschichte bisher gefällt und hoffe sehr, dass du auch weiterhin mitlesen wirst. (: Wenn du mich fragst, sind es genau die Unterschiede, die es so interessant machen, über die eigenen Erlebnisse zu sprechen und sich die anderer anzuhören,
Das r habe ich im Übrigen gestrichen. (: