BDSM hat eine Menge mit Absprachen zu tun. Man redet über Vorlieben und Fetische, aber auch über Abneigungen und Tabus; kurz darüber was man erwartet. Jeder Mensch hat Erwartungen; selbst der tabuloseste, willenloseste und unterwürfigste Slave auf dieser Welt, nämlich mindestens den, als ein eben solcher tabuloser, willenloser und unterwürfiger Sklave angesehen und behandelt zu werden. Sklaverei widerspricht der aktuellen gesellschaftlichen Norm und ist obendrein illegal, weswegen man darüber reden muss, wenn man zur Befriedigung der eigenen Lust gedemütigt werden möchte. Teil dieser Erwartungen sind nun auch Tabus – ja, in meinen Augen auch bei dem tabulosen Sklaven – und um diese soll es heute primär gehen.
In der Umgangssprache ist ein Tabu etwas, über das nicht geredet wird oder das nicht getan wird, weil es gesellschaftlich nicht konform ist. Der Nationalsozialismus war z.B. in den 50er Jahren ein Tabu. Man sprach nicht darüber und tat so, als gäbe es plötzlich keine Nazis mehr in Deutschland. Gleichzeitig hat es niemand mehr gewagt Witze über Juden zu machen. Nicht mehr über Juden zu lachen ist super, Verbrechen der Geschichte durch Tabuisierung zu verdrängen ist hingegen mal so überhaupt nicht super.
Der Duden hat zwei Definition des Wortes „Tabu“. Die erste aus der Völkerkunde: „Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, besonders geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren, anzublicken, zu nennen, bestimmte Speisen zu genießen“ und die zweite aus dem bildungssprachlichen Gebrauch: „ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, bestimmte Dinge zu tun“.
Bei „uns“, also im BDSM-Kontext, würde ich Tabus als solche Praktiken definieren, die jemand nicht tun oder an sich vornehmen lassen möchte. Darunter kann gewissermaßen alles und nichts fallen und manche Tabus sind häufig tabuer als andere. Manche wünsche sich auch, dass ihre Tabus übergangen werden, andere fordern die Beachtung strikt ein. Beides ist in Ordnung; beides ist eine Sache der Absprachen. Ich habe im Laufe der Zeit meine eigene Einstellung zu Tabus entwickelt und auch wenn diese sicherlich nicht für alle passend erscheinen mag, möchte ich sie aus gegeben, später auch noch thematisierten Anlass zum Besten geben.
Grundsätzlich unterteile ich Tabus erstmal in zwei Kategorien: obsolet und individuell. Wer jetzt denkt „hä, wie kann ein Tabu obsolet sein, wenn es doch grade noch hieß, diese könnten alles oder auch nichts sein?!“, der schaue sich mit mir einmal die auf Online-Profilen genannten Tabus an. Was finden wir dort ganz häufig? „Kinder“, „Tiere“, „alles was strafbar ist“. Arbeiten wir uns von hinten nach vorne durch:
„Alles was strafbar ist“ ist schon mal Blödsinn. BDSM bewegt sich nur aufgrund eines einzelnen Umstandes in einer rechtlichen Grauzone und das ist die Einvernehmlichkeit. Ohne diese verletzt vieles mindestens die Menschenwürde und für einiges gibt es sogar einzelne Tatbestände im Strafgesetzbuch. Ohne diese ist BDSM ganz und gar schwarz. Wenn man es ganz genau nehmen möchte, dann schützt nicht einmal die Einvernehmlichkeit davor, dass man rechtswidrig handelt. Die Menschenwürde, unser höchstes Gut, ist nämlich etwas, jedem innewohnt und dass man nicht ablegen kann, selbst wenn man es möchte. Beispielsweise hat das Verwaltungsgericht Neustadt in seinem Beschluss zur Untersagung einer Veranstaltung (“Zwergenweitwurf”) vom 21.05.1992 (7 L 1271/92) geurteilt, dass das Werfen von Menschen – insbesondere von kleinwüchsigen – zur Belustigung anderer gegen die guten Sitten verstößt und eine menschenunwürdige Behandlung darstellt, da die Person auf ein Objekt reduziert wird. Dabei käme es nicht darauf an, ob der „Zwerg“ dies freiwillig mit sich machen lässt oder nicht. (Wie es trotz dieses Urteils Fernsehsendungen im Format “DSDS” und “Bauer sucht Frau” geben kann, das bleibt vermutlich für immer ein Mysterium.) Wie viele Subs und Sklaven gibt es, die von ihren Herrschaften als Stuhl oder Tisch benutzt werden, weil Sub oder Sklave das ausdrücklich toll findet? Einige. Nach richterlicher Auffassung machen sich diese Herrschaften strafbar. Punkt. „Alles was strafbar ist“ ist also vermutlich doch nicht ganz das, was uns die lieben Leute mitteilen wollen. Außer sie wollen nur Blümchensex, dann stimmt das natürlich.
Wir schwimmen also ganz grundsätzlich in einer Grauzone herum und haben soeben festgestellt, dass für Krümelkacker quasi alles strafbar ist. Nun steckt in uns aber ein Rebell, der gegen manche Regeln manchmal verstoßen möchte. Doch manche Regeln sind gefühlt illegaler als andere, was mich zum 2. Standard-Tabu bringt: „Tiere“. Sex mit Tieren ist verboten. Nicht nur von Tierschützer, sondern vom Gesetzgeber. § 3 Satz 1 Nr. 13 Tierschutzgesetzt sagt klipp und klar, dass es verboten ist „ein Tier für eigene sexuelle Handlungen zu nutzen oder für sexuelle Handlungen Dritter abzurichten oder zur Verfügung zu stellen und dadurch zu artwidrigem Verhalten zu zwingen.“ Auch hier wieder: Punkt. Und zwar ein größerer, als bei Menschen, denn Tiere können im Gegensatz zu uns nicht einwilligen. Die „Ausrede“ der Einvernehmlichkeit fällt damit flach.
Ich glaube das unstrittigste meiner Beispiele ist „Kinder“. Kinder sind ein bisschen wie Tiere, aber eben doch mehr. Sie sind kleine Menschen. Sie können zwar sprechen und haben eine Meinung und auch Wünsche, aber sie können viele Jahre lang noch keine reflektierte Entscheidung treffen. Sie können nicht wirklich einwilligen, weil sie die Konsequenzen nicht abschätzen können. Kinder sind unsere Zukunft und sie sind heilig. Deswegen sind Kinder weit mehr als ein „Tabu“. Kinder sind schützenswert. In meinen Augen haben wir sie nicht nur nicht in sexuelle Handlungen einzubinden, sondern sie davor zu beschützen.
Ich möchte das an dieser Stelle gar nicht auswälzen, denn dann werde ich nur wütend und das soll nicht Ziel dieses Beitrags sein. Doch gerade die Benennung von „Kindern“ als Tabu bringt mich dazu zu sagen, dass es Tabus gibt, die obsolet sind. Es sollte nicht notwendig sein „Kinder“, „Tiere“ und „Strafbares“ explizit aufführen zu müssen, denn wenn wir uns bei unserer Einvernehmlichkeit nicht einmal darauf einigen können, dass diese Dinge ganz grundsätzlich ein No Go sind, ja scheiße, worauf soll am sich denn dann noch verlassen? Wenn ich „Anspucken“ zum Tabu erkläre, aber nicht deutlich mache, dass ich etwas gegen Amputationen habe, muss ich dann tatsächlich als Sub hinnehmen, dass mein Herr mir meinen Fuß mit einer rostigen Säge abschneidet? Ich hoffe doch mal nicht.
Alle anderen Tabus, die individuellen, sind hingegen dermaßen facettenreich, dass man schlichtweg nicht erwarten kann, dass irgendjemand sie ad hoc kennt und versteht. Und sie müssen auch nicht immer Sinn ergeben, so wie der Geschmack nicht immer einer Logik folgt. Ich mag z.B. keine rohen Tomaten, außer auf Bruscetta. In Soßen und als erwärmte Stückchen finde ich Tomaten voll lecker, aber ganze Scheiben auf einer Pizza wieder nicht. Bei den Tabus ist es ähnlich. Socken beim Sex sind ein kleines Tabu für mich, also nicht wirklich, aber ich mag sie nicht. Außer es Sneakersocken mit Rüschen am Bund und halterlose Strümpfe finde ich sogar ziemlich geil.
Für den Rest dieses Beitrags blenden wir einfach mal die obsoleten Tabus aus und schauen uns die Unterschiede der individuellen an; mal abgesehen davon, dass sie eben alle individuell sind. Ich habe einmal von meinem Herrn die Aufgabe bekommen meine persönlichen Tabus aufzuschreiben, wobei ich sie in 4 Stufen untergliedert habe: “ungern”, “äußerst ungern”, “tabu” und “absolut tabu”. Eigentlich ist tabu ein Adjektiv, das nicht steigerungsfähig ist. Entweder etwas ist tabu oder nicht. Genauso wie übrigens einzig. Trotzdem habe ich es getan und bin mit mir auch im Reinen – was ich nicht wäre, würde mir “einzigste” rausrutschen – denn die Sachen, die ich hier nenne sind ja auch keine Tabus im Sinne des Dudens. So what. Tatsächlich ist die Liste nicht sonderlich lang, dafür aber “ungewöhnlich”.
Als “ungern” habe ich Dinge definiert, die ich einfach nicht sonderlich doll mag. Sperma zum Beispiel. Sperma ist praktisch, wenn man Kinder bekommen möchte und gehört halt einfach irgendwie da, weil ist so. Aber ich finde es relativ doll ekelig, vor allem den Geruch. Aber es geht nicht so weit, dass es mich abturnt, wenn ich mit Sperma in Berührung komme, ich muss auch nicht kotzen und manchmal, in seltenen Moment finde selbst ich es geil mit dem Zeug angespritzt zu werden. Muss nur alles nicht sein.
“Äußerst ungern” steigt ungern um den Faktor, dass es mich abturnt, wenn diese Dinge passieren. Sie katapultieren mich raus aus dem Sub-Space, rein in die Wirklichkeit, die dann häufig nicht so schick ist. Oder ich werde sauer; auch nicht die beste Emotion für eine Sub. Horrorfilme und -geschichten wären hierfür ein Beispiel. Würde ich gezwungen werden Saw o.ä. zu schauen, dann wäre ich ziemlich angepisst, was jedoch nicht sonderlich lange anhalten würde.
Kommen wir also zur ersten wirklichen “tabu”-Stufe. “tabu” sind Dinge, die ich nicht tun möchte, weil ich sie nicht in meine Anschauung von Lust passen oder weil sie unangenehme Emotionen, wie Panik, hervorrufen. Das ist die Kategorie, in welche für mich NS und KV zählt, aber auch “in einem Schlafsack liegend gefesselt werden”. Ich bin keine Sub um Angst zu haben oder mich permanent zu ekeln.
Die letzte Stufe “absolutes Tabu” hat mein Herr damals ganz treffen definiert: “Dinge, die der Partner nur einmal tun kann, weil danach die Beziehung beendet wäre.” Im Grunde genommen, sind diese Dinge die einzigen wirklichen Tabus, denn sie zu verletzten stellt den größten Vertrauensbruch dar. Am Anfang hatte ich in dieser Kategorie 4 Sachen aufgezählt. Inzwischen sind es nur noch 2.
Tabus sind nichts statisches, sondern können sich im Laufe der Jahre und in Abhängigkeit vom Partner verändern und teilweise sogar verwandeln. Manche meiner eigenen Tabus beruhten auf einem Trauma, obwohl ich diese Dinge eigentlich geil fand. In der Anfangszeit mit meinem Herrn, aus welcher die Liste nun einmal stammt, musste ich mich jedoch vor allem selber schützen und konnte es so gar nicht gebrauchen getriggert zu werden. Vertrauen kann man nicht aufbauen, wenn man so tut als wäre alles in Ordnung. Doch mit der Zeit war dieser Selbstschutz nicht mehr notwendig und wir fingen an uns an diese angstbehafteten Sachen heranzutasten. Haareziehen wäre hierfür ein Beispiel. Ich stehe total darauf, aber in den ersten Wochen unserer Bekanntschaft führte jedes Mal, dass mein Herr auch nur im Ansatz in meine Haare griff zu Angst, Tränen und einem immensen Bedarf an tröstenden Worten. Inzwischen ist dieses Tabu von mir gestrichen worden und “Haareziehen” ist von der Tabu-Liste auf die “mag ich”-Liste gewandert. Das ist inzwischen einige Monate her.
Ein anderes meiner Tabus steht zwar noch auf der List und wird dort voraussichtlich noch eine Weile bleiben, inzwischen wurde es jedoch einmal auf meinem Wunsch hin temporär gestrichen. Um genau zu sein ist das erst vor ein paar Tagen und aus einer Laune heraus entstanden. Mein Herr war bei mir und irgendwie sind wir nicht zu Potte gekommen. Eigentlich stimmt das so auch wieder nicht, denn wir hatten einen schicken Samstag mit Kochen, Kino und Tanzen. Puh, aber trotzdem fühlte es sich so an, als ob wir den ganzen Tag verquatscht hätten. Der Sonntag war irgendwie ähnlich und es entstand irgendwie keine Stimmung zum hauen oder gehauen werden. Trotzdem war ich geil und hatte wenig Interesse daran den Tag so zu Ende gehen zu lassen. Als ich dann so auf dem Schoß meines Herrn hockte und wir knutschten, überkam mich plötzlich die Lust darauf ein Tabu brechen zu wollen. Ich schlug es meinem Herrn vor, der zunächst ein wenig überrascht war, sich aber sofort darauf einließ. Er erinnerte mich dabei ein wenig an einen Mann, dem eine Frau vorschlug zum ersten Date ins Stadion zu gehen, statt zum Candlelight-Dinner und der sofort ja sagte, bevor sie es sich vielleicht noch anders überlegt. Ich glaube er fragte nicht einmal nach, ob ich mir sicher bin. Sadist. Mein Herr führte mich ins Schlafzimmer, wo ich mich nackt auf das Bett legen sollte. Mit einem Tuch verband er mir die Augen, dann fesselte er meine Arme und Beine so stamm wie möglich an die vier Ecken des Bettes. Ich fröstelte leicht, jedoch nicht vor Kälte und spürte die Erregung immer deutlicher in mir hochsteigen. Er stieg zu mir aufs Bett und setzte sich auf meine Beine. Ganz leicht strich er mit den behandschuhten Händen über meinen Bauch, meine Brüste und Arme und schließlich über meine Wangen. “Bist du bereit?” fragte er. Ich fing an zu zittern und nickte dann ganz leicht. Danach fing ich an schallend zu lachen, zu kreischen und noch mehr zu lachen. Mein Herr kitzelte mich erbarmungslos. Es war schrecklich und unglaublich geil zugleich. Ich zappele so schon recht viel, aber in diesen paar Minuten konnte ich meine Gliedmaßen nicht dazu bewegen still zu halten. Ich wand mich nach Leibeskräften in den Seilen und hatte doch keine Chance. Es war berauschend, obwohl gar nicht viel passierte. Wir hörten erst auf, als ich bemerkte, dass sich das Seil um einen meiner Füße ungesund festzog. Nach nur ein paar Minuten war ich total erschöpft und hatte Schwierigkeiten meine Gefühle zu sortieren, ob ich es nun toll fand oder furchtbar. Meine Gefühle und ich einigten uns auf toll und baten meinen Herrn um eine zweite Runde. Dieses Mal auf dem Bauch liegend, die Beine aneinandergebunden, aber ansonsten frei. Mein Herr wollte mich so an beiden Füßen gleichzeitig kitzeln können. Eine schlechte Idee, wie sich herausstellte, als er sich plötzlich beim Rodeo wiederfand bei dem Versuch meine Beine mit vollem Körpereinsatz aufs Bett zu drücken. Er hatte keine Chance und von außen betrachtet muss das unglaublich komisch ausgesehen haben. Ich schlug wie wild um mich, wobei ich meinen Herrn mehrfach am Rücken traf. Zum Glück ist er nicht nachtragend, aber der Umstand, dass nach dieser Session nicht ich diejenige sein werde, die blaue Flecken haben wird hat mich beim Lachen auch noch zum Schmunzeln gebracht. Entschuldigt habe ich mich trotzdem.
Kitzeln stand erst bei “tabu”, dann seit ein paar Monaten bei “äußerst ungern”, weil ich es auf “gefesselt gekitzelt werden” beschränkten musste. Kitzeln generell hat es einfach nicht so ganz getroffen. Nach dieser Erfahrung dachte ich zunächst, dass es jetzt auch auf eine andere Liste müsse, weil ich das auf jeden Fall mit stärkerer Fixierung wiederholen möchte. Ich habe mich jedoch dagegen entschieden. “Kitzeln” bleibt weiterhin bei “äußerst ungern”, also bei den Dingen, die mich sauer machen würden, wenn mein Herr sie einfach tun würde, denn ich glaube so wäre es. Die Vorstellung, ohne meinen ausdrücklichen Wunsch gekitzelt zu werden, finde ich nach wie vor ganz doof. Das hat zwar jetzt zur Folge, dass “Kitzeln” auf zwei Listen steht, aber was solls. Niemand hat behauptet, dass Tabus und Vorlieben rational sind. Diese Erfahrung macht aber nochmal ganz stark deutlich, dass Tabus etwas Wandelbares sind. Sie sind nicht in Stein gemeißelt und genauso wie sie wegfallen können, ist es auch möglich, dass neue hinzukommen.